Beschlagnahme russischer Personenkraftwagen durch den deutschen Zoll
Beschlagnahme russischer PKW durch den deutschen Zoll
Unter der Überschrift „Zoll beschlagnahmt Autos russischer Urlauber“ berichtete ntv.de am 12.07.2023 von bisher wenig beachteten Auswirkungen der Russland-Sanktionen im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine. Danach sollen deutsche Zollbehörden aus Russland stammende Fahrzeuge, die sich in Deutschland befinden, beschlagnahmt haben. Bei den betroffenen Fahrzeugführern bzw. -haltern handele es sich um russische Urlauber sowie einen in Deutschland mit einer Aufenthaltserlaubnis lebenden Russen.
Im Zusammenhang mit den Beschlagnahmen seien zudem Strafverfahren wegen des Verdachts eines Sanktionsverstoßes eingeleitet worden. (Die einschlägige Strafvorschrift ist § 18 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a des Außenwirtschaftsgesetzes [AWG]. Danach wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren u.a. bestraft, wer einem Einfuhr- oder Verbringungsverbot aus einer Verordnung der Europäischen Union zuwiderhandelt.)
Auf Nachfrage von ntv.de habe der Zoll per E-Mail mitgeteilt, dass Grundlage der Maßnahmen Art. 3i der EU-Sanktionsverordnung Nr. 833/2014 sei. Das Bundesfinanzministerium verweise auf die Aussage eines Sprechers im Rahmen der Regierungspressekonferenz vom 07.07.2023, der ebenfalls auf die Verordnung 833/2014 Bezug nehme und darauf, dass darin PKW und andere Kraftfahrzeuge genannt werden, die damit grundsätzlich dem Einfuhrverbot unterliegen.
Dem Protokoll der Regierungspressekonferenz vom 07.07.2023 ist hierzu das Folgende zu entnehmen:
„Frage: Eine Frage an die Bundesregierung und das Bundesjustizministerium. Seit einigen Wochen häufen sich Fälle, dass bei einer Einreise nach Deutschland Autos mit russischen Kennzeichen beschlagnahmt werden. Der Zoll verweist dabei auf eine EU-Verordnung im Rahmen der Sanktionen, die den Import von Personenkraftwagen aus Russland verbietet, weil damit Einkünfte generiert werden können, die der Ukraine schaden. In allen anderen EU-Ländern versteht man darunter den geschäftsmäßigen Import von Pkw, und nur in Deutschland werden private Pkw konfisziert. Warum ist Deutschland das einzige EU-Land, in dem Kraftfahrzeuge mit russischen Kennzeichen beschlagnahmt werden?
Nimindé-Dundadengar: Zu Einzelfällen äußern wir uns grundsätzlich nicht.
Ich kann vielleicht grundsätzlich ausführen: Maßgebliche Rechtsgrundlage - das haben Sie schon angemerkt - ist die EU-Verordnung Nr. 833 aus dem Jahr 2014. EU-Verordnungen sind in allem Mitgliedstaaten rechtsverbindlich, also auch in der Bundesrepublik Deutschland. Nach dieser Verordnung ist es verboten, die in dem entsprechenden Anhang aufgeführten Güter, die Russland erhebliche Einnahmen erbringen und dadurch die Handlungen Russlands, die die Lage in der Ukraine destabilisieren, ermöglichen, unmittelbar oder mittelbar zu kaufen, in die Union einzuführen oder zu verbringen, wenn sie ihren Ursprung in Russland haben oder aus Russland ausgeführt werden.
Personenkraftwagen und andere Kraftfahrzeuge, die ihrer Beschaffenheit nach hauptsächlich zur Beförderung entsprechend von weniger als zehn Personen bestimmt sind, sind seit dem 6. Oktober 2022 in dieser Verordnung genannt und unterliegen damit grundsätzlich dem Verbot.
Wie gesagt, zu Einzelfällen kann ich mich nicht äußern. Bei Vorliegen eines Strafverfahrens ist das Sache der jeweils zuständigen Staatsanwaltschaft. Wenn Fahrzeuge aus Sicht des Eigentümers zu Unrecht beschlagnahmt werden, steht es hier in Deutschland regelmäßig frei, entsprechende Rechtsmittel einzulegen.
Zusatzfrage: Anscheinend ist Deutschland bisher das einzige EU-Land, das diese Verordnung auch auf private Fahrzeuge, die nicht zum Verkauf stehen, ausweitet. Wie kommt es dazu? Sieht man da Nachregelungsbedarf? Wird man die Praxis an die Praxis der anderen EU-Länder angleichen?
Nimindé-Dundadengar: Noch einmal: Hier geht es um eine EU-Verordnung, die in allen Mitgliedstaaten rechtsverbindlich ist. Die Darstellung, wie Sie sie jetzt hier vorbringen, kann ich so nicht bestätigen beziehungsweise ist mir nicht bekannt. Die EU-Verordnung wird hier entsprechend dem Wortlaut umgesetzt. Das wäre alles, was ich dazu sagen kann.“
Mittlerweile wurde bekannt, dass das Strafverfahren gegen den in Deutschland mit einer Aufenthaltsgenehmigung lebenden russischen Staatsbürger von der Staatsanwaltschaft Hamburg eingestellt und zugleich die Herausgabe des beschlagnahmten Fahrzeugs angeordnet wurde (Berliner Zeitung vom 14.07.2023). In der St. Petersburger Zeitung Fontanka wurde die Kopie eines entsprechenden Schreibens des Hauptzollamts Hamburg an den Betroffenen veröffentlicht:
Bezüglich der betroffenen russischen Touristen sind bis dato keine Verfahrensabschlüsse bzw. die Herausgabe der Fahrzeuge bekannt geworden. Die unterschiedliche Behandlung mag darauf zurückgehen, dass der in Deutschland lebende russische Staatsbürger sein Fahrzeug noch vor Aufnahme von Personenkraftwagen in die Sanktionsverordnung nach Deutschland verbracht hatte.
Diese Ausweitung der Sanktionen auf Personenkraftwagen war Teil des Achten Sanktionspakets der Europäischen Union. Mit der entsprechenden Verordnung (EU) 2022/1904 des Rates vom 06.10.2022 wurde die ursprüngliche Sanktionsverordnung , deren vollständiger Name „Verordnung (EU) Nr. 833/2014 des Rates vom 31. Juli 2014 über restriktive Maßnahmen angesichts der Handlungen Russlands, die die Lage in der Ukraine destabilisieren“ lautet, erneut geändert.
Der einschlägige Artikel 3i Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 lautet seitdem:
„Es ist verboten, die in Anhang XXI aufgeführten Güter, die Russland erhebliche Einnahmen erbringen und dadurch die Handlungen Russlands, die die Lage in der Ukraine destabilisieren, ermöglichen, unmittelbar oder mittelbar zu kaufen, in die Union einzuführen oder zu verbringen, wenn sie ihren Ursprung in Russland haben oder aus Russland ausgeführt werden.“*
In Anhang XXI, auf den Art. 3i Bezug nimmt, werden unter der Überschrift „Liste der Güter und Technologien nach Artikel 3i“ neben zahlreichen anderen Waren auch
„Personenkraftwagen und andere Kraftfahrzeuge, ihrer Beschaffenheit nach hauptsächlich zum Befördern von < 10 Personen bestimmt (ausg. Omnibusse der Pos. 8702), einschl. Kombinationskraftwagen und Rennwagen“
mit dem „KN-Code 8703“ aufgeführt. (Bei der KN handelt es sich um die Kombinierte Nomenklatur, eine EU-einheitliche achtstellige Warennomenklatur für Zwecke des Zolls, des Außenhandel und der Statistik.)
Danach scheinen die beschlagnahmten Personenkraftwagen von dem Verbot der Einfuhr oder des Verbringens in die Union betroffen zu sein. Zweifel drängen sich allerdings auf, wenn Art. 3i Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 von „Gütern, die Russland erhebliche Einnahmen erbringen“ spricht, die von Touristen genutzte Fahrzeuge aber typischerweise nach Beendigung der Reise wieder aus der Union verbracht werden, also in aller Regel für Russland keine Einnahmen erbringen.
Vom Verordnungsgeber ersichtlich gemeint waren Vorgänge mit gewerblichem Charakter, die zumindest grundsätzlich geeignet sind, für Russland Einnahmen zu erbringen, also insbesondere der Verkauf bzw. die Vermietung von Personenkraftwagen in die bzw. in der Union.
Bemerkenswert in diesem Zusammenhang sind zwei in Anhang VII der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 genannte Ausnahmen für bestimmte Schiffe, Gelände-Zugmaschinen Straßen-Sattelzugmaschinen. Dort heißt es:
„Anmerkung: Unternummer X.A.VI.001f erfasst nicht Schiffe, die zur privaten Beförderung oder zur Beförderung von Personen oder Gütern aus dem oder durch das Zollgebiet der Union verwendet werden und sich zu diesem Zweck vorübergehend dort aufhalten.“
bzw.
„Anmerkung: Unternummer X.A.VII.001b und Unternummer X.A.VII.001c erfassen nicht Fahrzeuge, die zur privaten Beförderung oder zur Beförderung von Personen oder Gütern aus dem oder durch das Zollgebiet der Union verwendet werden und sich zu diesem Zweck vorübergehend dort aufhalten.“
Auf Anhang VII bezieht sich Art. 2a der Verordnung (EU) Nr. 833/2014, der allerdings nur „Güter und Technologien […], die zur militärischen und technologischen Stärkung Russlands oder zur Entwicklung des Verteidigungs- und Sicherheitssektors beitragen könnten“ betrifft. Der Verordnungsgeber macht also hier nur deutlich, dass Schiffe bzw. Zugmaschinen zur privaten Beförderung nicht zur militärischen und technologischen Stärkung Russlands oder zur Entwicklung des Verteidigungs- und Sicherheitssektors beizutragen geeignet sind.
Die genannten Ausnahmen lassen sich daher nicht direkt auf Güter, die Russland erhebliche Einnahmen erbringen, übertragen. In Bezug auf Personenkraftwagen von einem „beredten Schweigen“ des Verordnungsgebers auszugehen liegt in Anbetracht der Eile, mit der die entsprechenden Vorschriften geschaffen wurde, eher fern.
Naheliegend erscheint vielmehr, dass der Verordnungsgeber das Problem, dass private Beförderungen mit Personenkraftwagen – insbesondere zu touristischen Zwecken – durch die Aufnahme der Fahrzeuge in Anhang XXI der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 kriminalisiert werden, nicht gesehen hat.
Sinnvoll erscheint die Aufnahme einer Rechtsklarheit schaffenden Anmerkung in Anhang XXI. Bis dahin sollte das Bundesfinanzministerium durch eine kurzfristige Anweisung der Zollbehörden die völlig unverhältnismäßig erscheinenden Beschlagnahmen russischer Personenkraftwagen, die offensichtlich nicht dazu geeignet sind, Russland erhebliche Einnahmen erbringen, unterbinden.
Die bereits eingeleiteten Strafverfahren sollten nach § 170 Abs. 2 StPO mangels hinreichenden Tatverdachts, hilfsweise nach § 153 StPO wegen Geringfügigkeit eingestellt werden.
* Englische Fassung: “It shall be prohibited to purchase, import, or transfer, directly or indirectly, goods which generate significant revenues for Russia thereby enabling its actions destabilising the situation in Ukraine, as listed in Annex XXI into the Union if they originate in Russia or are exported from Russia.” Französische Fassung: “Il est interdit d'acheter, d'importer ou de transférer, directement ou indirectement, dans l'Union, les biens qui génèrent d'importantes recettes pour la Russie et qui lui permettent ainsi de mettre en œuvre ses actions déstabilisant la situation en Ukraine, tels qu'énumérés à l'annexe XXI si ceux-ci sont originaires de Russie ou sont exportés de Russie.”
Die Darstellungen auf unserer Internetseite können eine rechtliche Beratung im individuellen Fall natürlich nicht ersetzen. Bitte nehmen Sie für Hilfe bei Ihrem konkreten Anliegen Kontakt mit uns auf. Wir stehen Ihnen gerne mit Rat und Tat zur Seite!
Sofern Sie über einen Spezial-Straf-Rechtsschutz-Tarif einer Rechtsschutzversicherung verfügen, werden die Kosten häufig von dieser übernommen.
Mein Berliner Standort befindet sich in der Meinekestraße 4, 10719 Berlin-Charlottenburg:
Mein Hamburger Standort befindet sich im Leonore-Mau-Weg 5, 22763 Hamburg-Bahrenfeld:
Kanzleigebäude in der Meinekestraße 4, 10719 Berlin-Charlottenburg:
Klick auf die Karte öffnet Google Maps Routenplaner in einem neuen Fenster.
Kanzleigebäude im Leonore-Mau-Weg 5, 22763 Hamburg-Bahrenfeld:
Klick auf die Karte öffnet Google Maps Routenplaner in einem neuen Fenster.
Fachanwalt für Strafrecht
Fachanwalt für Steuerrecht
Zertifizierter Berater für Steuerstrafrecht (DAA)
Berater für Zölle und Verbrauchsteuern
Meinekestraße 4
10719 Berlin
Tel.: 030 439 709 999
E-Mail: mail@kanzlei-hildebrandt.de
Leonore-Mau-Weg 5
22763 Hamburg
Tel.: 040 696 387 050