BGH zur Wertgrenze des Merkmals "in großem Ausmaß" bei der besonders schweren Steuerhinterziehung
Mit Beschluss vom 15.12.2011 – 1 StR 579/11 hat der erste Senat des Bundesgerichtshofs in einem obiter dictum ergänzend zu der Frage Stellung genommen, wann ein besonders schwerer Fall der Steuerhinterziehung gemäß § 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 AO vorliegt.
Ausgangspunkt der Überlegung ist die bereits in dem Grundsatzurteil vom 02.12.2008 (1 StR 416/08) aufgestellte Annahme, daß ab einem Hinterziehungsbetrag von 50.000 EUR grundsätzlich eine Hinterziehung in „großem Ausmaß“ vorliegt. Damit ist das Regelbeispiel des § 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 AO erfüllt, mit der Folge, daß sich der anzuwendende Strafrahmen gegenüber der einfachen Steuerhinterziehung (Freiheitsstrafe bis zu 5 Jahren oder Geldstrafe) auf Freiheitsstrafe von 6 Monaten bis zu 10 Jahren erhöht. Zudem verlängert sich die Frist der Verfolgungsverjährung auf 10 Jahre gemäß § 376 Abs. 1 AO.
Etwas anderes gilt, wenn der Täter die Fianzbehörden nur über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis läßt und dies lediglich zu einer Gefährdung des Steueranspruchs führt. Dann liegt die vom BGH festgelegte Wertgrenze des „großen Ausmaßes“ bei 100.000 EUR (BGH a.a.O.). Hierbei ist unerheblich, ob der Täter dabei durch Unterlassen oder aktives Tun handelt. Auch wenn er eine Steuererklärung abgibt, diese aber unvollständig ist, weil er steuerpflichtige Umsätze oder Einkünfte verschweigt, beträgt die Wertgrenze 100.000 EUR, sofern der Steueranspruch nur gefährdet wird (BGH, Beschl. V. 12.07.2011 – 1 StR 81/11).
An diesem Punkt setzt der BGH in seiner Entscheidung vom 15.12.2011 an. Wenn der Täter unrichtige Angaben mache, indem er nicht nur Einünfte oder Umsätze verschweige, sondern Betriebsausgaben oder Vorsteuerbeträge erfinde, liege nicht mehr nur eine Gefährdung des Steueranspruchs vor. Vielmehr unternehme der Täter einen „Griff in die Kasse“ des Staates. Daher sei in diesen Fällen die niedrigere Wertgrenze von 50.000 EUR anzuwenden.
Das Regelbeispiel des § 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 AO verlangt, daß der Täter in großem Ausmaß Steuern verkürzt. Die Vorschrift scheint allein auf den Taterfolg abzustellen. Der zur Auslegung des Merkmals berufene BGH hat sich dafür entschieden, neben einer betragsmäßigen Bestimmung die Erfüllung des Regelbeispiels auch von der Art der Begehung der Steuerhinterziehung abhängig zu machen. Aufgrund der hier besprochenen Entscheidung muß er sich jedoch vorwerfen lassen, die Abgrenzung inkonsequent vorzunehmen. Denn der die geringere Wertgrenze von 50.000 EUR rechtfertigende „Griff in die Kasse“ des Staates hängt nicht entscheidend davon ab, ob der Täter Tatsachen verschweigt oder erfindet. Vielmehr kommt es darauf an, ob sich aus den Angaben des Täters eine zu geringe Zahllast des Steuerpflichtigen oder aber eine Zahllast des Finanzamtes ergibt (vgl. Grießhammer, NZWiSt 2012, 156).
Diesen Zusammenhang scheint der BGH zu übersehen, wenn er davon ausgeht, daß das Vortäuschen von Betriebsausgaben oder Vorsteuerbeträgen stets zu einer Erstattung eines (tatsächlich nicht bestehenden) Steuerguthabens oder zum (scheinbaren) Erlöschen einer bestehenden Steuerforderung führt (vgl. BGH, NZWiSt 2012, 154 f.). Denkbar ist durchaus die Konstellation, daß es trotz vorgetäuschter Betriebsausgaben und Vorsteuerbeträgen bei einer Zahllast des Steuerpflichtigen verbleibt, da entweder keine Vorauszahlungen festgesetzt waren (§ 37 Abs. 5 S. 1 EStG), die festgesetzte Steuer die gezahlten Vorauszahlungen übersteigt oder durch die Tat kein Vorsteuerüberhang entsteht (vgl. Grießhammer, NZWiSt 2012, 156).
In diesem Fall ist die Folge eine zu niedrige Steuerfestsetzung und damit nur eine Steuergefährdung. Dieser Erfolg läßt sich durch das Verschweigen von Umsätzen und Einnahmen ebenso herbeiführen wie durch das Erfinden von Betriebsausgaben und Vorsteuerbeträgen. In konsequenter Anwendung der aktuellen BGH-Rechtsprechung würde dies dazu führen, daß die Art der Begehung der Steuerhinterziehung über die anzuwendende Wertgrenze hinsichtlich des „großen Ausmaßes“ entscheidet.
Zum gegenwärtigen Zeitpunkt erschließt sich nicht, ob dieses Ergebnis von der Absicht des BGH getragen wird, stellt er doch hinsichtlich des „großen Ausmaßes“ explizit auf den „Griff in die Kasse“ des Staates bzw. den Verletzungs- oder Gefährdungserfolg ab.
Eine baldige Klärung der Frage, ob in § 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 AO ein tat- oder erfolgsbezogenes Merkmal zu sehen ist, wäre wünschenswert. Insbesondere die an die Anwendbarkeit der Norm geknüpfte 10-jährige Verjährungsfrist ist für die Selbstanzeige gemäß § 371 AO relevant. Denn Straffreiheit erlangt dort nur derjenige, der alle unverjährten Steuerstraftaten einer Steuerart angibt.
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