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Steuerhinterziehungs-Vorsatz oder doch nur Fahrlässigkeit?

von Torsten Hildebrandt

Bussgeld- und Strafsachenstellen tun sich schwer mit der Abgrenzung von Vorsatz und Fahrlässigkeit beim Vorwurf der Steuerhinterziehung

Wer einen Steuerberater mit der Erstellung und Abgabe seiner Steuererklärungen beauftragt, muss grundsätzlich kein Steuerstrafverfahren befürchten. Die Steuerhinterziehung kann nur vorsätzlich begangen werden, es reicht also nicht, wenn dem Steuerberater bei der Steuererklärung ein Fehler unterläuft. Der Steuerpflichtige handelt nur dann mit Steuerhinterziehungsvorsatz, wenn er für möglich gehalten hat, dass die Steuererklärung unrichtig oder unvollständig ist und er sich damit abfindet. Finanzbeamte agieren jedoch häufig nach der Devise „in dubio pro Vorsatz“. Bereits im Jahr 1992 schrieb der Beamte der Bußgeld- und Strafsachenstelle des Finanzamts für Fahndung und Strafsachen Berlin Dr. Dörn (Dörn, Der Steuerberater 1992, 201, 203):

„In der Praxis des Steuerstrafverfahrens ist allgemein festzustellen, daß in den BuStra-Stellen der Prüfung der subjektiven Tatseite erheblich weniger Aufmerksamkeit geschenkt wird, als dem objektiven Tatbestand. Auch können die o.a. Abgrenzungen etwas verschoben sein: leichtfertige Verhaltensweisen werden u.U. als bedingt vorsätzlich gewertet und über § 378 AO (leichtfertige Steuerverkürzung) können in der Praxis Fehler vorgeworfen werden, die eigentlich auf einfacher Fahrlässigkeit beruhen. Gelegentlich entsteht sogar der Eindruck, daß Vorsatz zunächst ‚unterstellt‘ wird, obgleich es vielleicht möglich oder – in dubio pro reo (Im Zweifel für den Angeklagten) – sogar notwendig wäre, von Leichtfertigkeit oder einfacher Fahrlässigkeit auszugehen.“

Hieran hat sich mehr als 30 Jahre später nichts geändert. Selbst wenn der Steuerpflichtige seinem Steuerberater alle Unterlagen rechtzeitig zur Verfügung gestellt und sich darauf verlassen hat, dass der als zuverlässig bekannte Berater die Steuererklärung richtig erstellt hat, soll der Steuerpflichtige vorsätzlich Steuern hinterzogen haben, wenn sich beim Berater ein Fehler in die Steuererklärung eingeschlichen hat – jedenfalls wenn es nach dem Finanzamt für Fahndung und Strafsachen Lüneburg geht.

Gegen die Unterstellung der Bußgeld- und Strafsachenstelle Lüneburg half auch der Hinweis auf das Urteil des BFH vom 29.10.2013 zum Aktenzeichen VIII R 27/10 (= BFHE 243, 116 = BStBl II 2014, 295) nichts:

„Jedoch darf der Steuerpflichtige im Regelfall darauf vertrauen, dass der Steuerberater die Steuererklärung richtig und vollständig vorbereitet, wenn er diesem die für die Erstellung der Steuererklärung erforderlichen Informationen vollständig verschafft hat (Senatsurteil vom 18. Mai 2005 VIII R 107/03, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung --HFR-- 2006, 115; vgl. auch Hellmann in HHSp, § 370 AO Rz 226). Danach ist er grundsätzlich nicht verpflichtet, die vom Steuerberater vorbereitete Steuererklärung in allen Einzelheiten nachzuprüfen.“,

Hiergegen argumentierte das Finanzamt für Fahndung und Strafsachen Lüneburg wie folgt:

„Der Beschuldigte ist nicht verpflichtet die vom Berater erstellte Erklärung „in allen Einzelheiten nachzuprüfen“, er ist jedoch verpflichtet die Erklärung vor Abgabe zu kontrollieren (1). Zudem muss er vor Abgabe der Erklärung diese eigenhändig unterschreiben (2) und mit seiner Unterschrift erklären, dass er die Angaben nach bestem Wissen und Gewissen gemacht wurden (3). Er bestätigt durch die Unterschrift, dass die Angaben richtig von seinem Steuerberater übernommen wurden (4). […]

 Zudem soll der Beschuldigte [die Unterlage, aus der sich die Einnahme ergab] beim Berater eingereicht haben, sodass das Übersehen des Fehlens des Gewinns nicht überzeugend und glaubwürdig nachgewiesen werden kann (5)

 Der Beschuldigte hat seine Kontrollpflichten verletzt und dementsprechend vorsätzlich eine Steuerverkürzung bewirkt (6).“

Aus steuerstrafrechtlicher Sicht ist das alles allerdings Unsinn.

Zu 1:

Die Steuerpflichtigen können nicht generell verpflichtet sein, die von ihrem Steuerberater erstellte Steuererklärung zu kontrollieren. Die Steuererklärung enthält überwiegend Zahlen. Diese sind grundsätzlich das Ergebnis einer rechtlichen Subsumtion. Die große Mehrheit der Steuerpflichtigen ist nicht steuerrechtlich ausgebildet und deswegen überhaupt nicht in der Lage, die Richtigkeit der Subsumtion und damit der Steuererklärung zu kontrollieren. Deswegen können Sie hierzu auch nicht verpflichtet sein, vgl. Rätke in: Klein, Komm. AO, 17. Aufl., § 150 Rn. 36:

„Der Stpfl kann durch die Unterschrift nicht die volle Verantwortung für die rechtliche Würdigung oder Rechtsauffassungen, insbes bei einer von seinem StBerater ausgefüllten StErklärung, übernehmen, weil er hinsichtlich deren rechtlicher Würdigung regelmäßig überfordert sein dürfte (vgl TK/Seer § 150 Rz 12; vgl auch BFH 29.10.2013 – VIII R 27/10, BStBl. II 2014, 295; s auch Rz 23).“

Zu 2:

§ 150 Abs. 3 der Abgabenordnung, der die eigenhändige Unterschrift der Steuererklärung vorschreibt, hat durch die weitgehende Verpflichtung zur elektronischen Übermittlung der Steuererklärung an Bedeutung verloren. Eine eigenhändige Unterschrift ist nur noch erforderlich bei der Einkommensteuererklärung, sofern keine Gewinneinkünfte erzielt werden. Im vorliegenden Fall konnte die Steuererklärung gar nicht unterschrieben werden.

Zu 3:

Eine schriftliche Versicherung der Richtigkeit der gemachten Angaben ist seit der Aufhebung des früheren § 150 Abs. 2 S. 2 zum 31.12.2016 nicht mehr erforderlich. Im vorliegenden Fall existiert eine solche schriftliche Versicherung gar nicht.

Zu 4:

Diese angebliche Bestätigung ergibt sich weder aus dem Gesetz oder der Steuererklärung, sondern nur aus der Fantasie des Finanzbeamten. Wie unter zu 1 dargestellt, sind die in der Steuererklärung in Form von Zahlen dargestellten Besteuerungsgrundlagen Ergebnis einer Rechtsanwendung. Diese fällt nicht in die Zuständigkeit des Steuerpflichtigen. Selbst wenn der Steuerpflichtige ausdrücklich erklären würde, dass er die Steuererklärung für richtig hält, erklärt er damit keinesfalls, dass er – falls die Erklärung doch nicht richtig ist – einen Steuerhinterziehungsvorsatz hat. Er erklärt allenfalls, dass er auf die Arbeit seines Steuerberaters vertraut.

Zu 5:

Nachweisen muss der Beschuldigte im (Steuer-)Strafverfahren überhaupt nichts. Es gilt der Zweifelssatz „in dubio pro reo“.

Zu 6:

Der Vorwurf, der Beschuldigte habe seine Kontrollpflichten verletzt, ist nichts mehr als ein Fahrlässigkeitsvorwurf. Für die Annahme des Vorsatzes ist es keineswegs ausreichend, wenn der Irrtum vermeidbar gewesen wäre. Die Vermeidbarkeit ist nur beim Verbotsirrtum gemäß § 17 StGB relevant, nicht jedoch beim Tatbestandsirrtum gemäß § 16 StGB. Hierzu führt Rolletschke in: Rolletschke/Kemper, Komm. Steuerstrafrecht, 109. Lfg., § 370 AO Rn. 363, aus:

„In der Praxis nicht selten ist, dass man dem Täter (lediglich) ein Überwachen-Müssen, Erkundigen-Müssen oder Bemerken-Müssen vorwirft; daraus aber den Vorsatznachweis schlussfolgert. Da es sich bei diesen Vorhaltungen jedoch um bloße Sorgfaltspflichtverletzungen handelt, ist die Schlussfolgerung im Grundsatz unzutreffend.“

Ähnlich äußern sich Schmitz/Wulf in: Münchener Kommentar zum StGB, 2. Aufl., § 370 AO Rn. 357:

[...] da in der Praxis vielfach das vermeintliche Vorliegen von Eventualvorsatz mit Sachverhaltsbewertungen begründet wird, die nur für ein fahrlässiges Fehlverhalten begründen können (‚der Steuerpflichtige hätte wissen/hätte prüfen müssen, dass… ‚).“

Abschließende Anmerkung:

Selbst wenn der Steuerpflichtige die Steuererklärung – im Vertrauen auf deren Richtigkeit – ungeprüft unterzeichnet hätte, wäre dies nach der Rechtsprechung kein Nachweis für einen Steuerhinterziehungsvorsatz, sondern ein Indiz für dessen Fehlen, vgl. etwa FG München, Beschl. v. 20.04.2011 – 13 V 446/11:

„Wenn also der ASt mangels eigener Sachkunde ohne weitere Prüfung die Steuererklärungen unterzeichnet hat und damit dem ihm als sachkundig und zuverlässig bekannten Steuerberater vertraut, ist dies ein Umstand der gegen die Annahme eines bedingten Vorsatz spricht (Finanzgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 30. Januar 2008, 2 K 127/05, PStR 2009, 30).“

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