Zollzuschlag nur bei Vorsatz oder Leichtfertigkeit, nicht aber „einfacher“ Fahrlässigkeit im „grünen Kanal“
Ergänzende Anmerkung zum Urteil des Finanzgerichts Hamburg vom 02.03.2023 - 4 K 114/22 zum Schmuggelprivileg nach § 32 ZollVG
Im vom Finanzgericht Hamburg mit Urteil vom 02.03.2023 entschiedenen Fall (Az.: 4 K 114/22; veröffentlicht in der Zeitschrift für Zölle 2024, 51 ff.) reiste der Kläger in das Zollgebiet der Union ein und wurde mit seinem Gepäck im grünen Ausgang „Anmeldefreie Waren“ („Grüner Kanal“) im Flughafen kontrolliert. Dabei führte ein Fernglas mit sich, dass er in einem Drittland erworben hatte und bei der Einreise nicht verzollt hatte.
Das Hauptzollamt setzte die Einfuhrabgaben für das Fernglas fest und zugleich einen Zuschlag gemäß § 32 Abs. 3 des Zollverwaltungsgesetzes (ZollVG) in Höhe der Einfuhrabgaben.
Zu Recht hebt RiOLG Ebner in der Zeitschrift für Zölle (ZfZ 2024, 139) hervor, dass das Finanzgericht Hamburg nicht hinreichend deutlich gemacht hat, dass der Zollzuschlag nach § 32 ZollVG nur erhoben werden darf, wenn eine Steuerordnungswidrigkeit begangen wurde und nur deswegen nicht verfolgt wird, weil die verkürzten Einfuhrabgaben den Betrag von 250 Euro nicht übersteigen. Aus der Darstellung des Finanzgerichts Hamburg ergibt sich bei genauer Betrachtung allerdings keine solche Steuerordnungswidrigkeit, denn es führt in seinem Urteil nur aus:
„Hinsichtlich dieser Ordnungswidrigkeit ist dem Kläger auch zumindest Fahrlässigkeit vorzuwerfen, weil er sich vor dem Verbringen der Waren nach Deutschland über die Voraussetzungen für die Gewährung der Einreisefreimengen hätte informieren müssen. Ein Reisender muss sich insbesondere über die Bedeutung des grünen Ausgangs an den Flughäfen Kenntnis verschaffen, wenn er aus einem Drittland nach Deutschland mit Waren einreist, bei denen es zumindest möglich ist, dass sie anzumelden und für sie Einfuhrabgaben zu entrichten sind (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofes vom 16. März 2007 VII B 21/06, BFHE 216, 468, zur leichtfertigen Steuerverkürzung).“
Die dem Kläger angeblich zumindest vorzuwerfende „Fahrlässigkeit“ reicht nicht aus für den Vorwurf der leichtfertigen Steuerverkürzung nach § 378 AO. Leichtfertigkeit setzt mehr voraus als bloße „normale“ Fahrlässigkeit. Der Täter muss vielmehr in besonderem Maße, also „grob“ fahrlässig handeln. Dies lag im entschiedenen Fall insbesondere deswegen nicht nahe, weil das verfahrensgegenständliche Fernglas nicht im Eigentum des Klägers, sondern in dem seines mitreisenden Ehemanns stand. Zu den konkreten Umständen der Kontrolle teilt das Finanzgericht Hamburg in seinem Urteil mit:
„Zu Beginn des Durchschreitens des "Grünen Kanals" befand er sich (noch) in Begleitung seines Ehemannes. […] Zum Zeitpunkt der Ansprache des Klägers zur Kontrolle und bei Durchführung der Kontrolle war der Ehemann des Klägers nicht (mehr) anwesend.“
Dass die persönlichen Einreisefreimengen
„nur von Personen geltend gemacht werden [können], die die Waren entweder unmittelbar physisch mit sich führen oder jedenfalls bei einer durchgeführten Kontrolle selbst physisch anwesend sind“,
versteht sich – jedenfalls für die Steuerpflichtigen Bürger – keineswegs von selbst und wurde auch vom Finanzgericht Hamburg für erörterungswürdig gehalten.
Zu Recht führt Ebner in seiner Anmerkung in der Zeitschrift für Zölle aus, dass das Finanzgericht Hamburg beim Vorliegen einfacher Fahrlässigkeit auch nicht auf die Steuerordnungswidrigkeit der Einfuhrabgabengefährdung gemäß § 382 Abs. 1 Nr. 1 AO i.V.m. § 30 Abs. 4 Nr. 2 ZollV hätte ausweichen können (Ebner bezieht sich zwar auf § 30 Abs. 4 Nr. 1 ZollV, diese Vorschrift setzt aber voraus, dass der Betroffene „entgegen Artikel 39 Abs. 1 oder 2 die Zollbehörde nicht oder nicht rechtzeitig unterrichtet, dass eine Verpflichtung zur Beförderung einer Ware nach Artikel 38 Abs. 1 infolge eines unvorhersehbaren Ereignisses oder höherer Gewalt nicht erfüllt werden kann“. Unterlassen wurde jedoch die in § 30 Abs. 4 Nr. 2 angesprochene Gestellung der Waren.):
„Zwar ist diese „nur“ fahrlässig begehbar, d.h. Leichtfertigkeit wird anders als in § 378 Abs. 1 Satz 1 AO nicht vorausgesetzt. Allerdings nehmen die auf § 382 AO verweisenden Regelungen in § 30 Abs. 4 bis 7 ZollV nach wie vor den bereits zum 30.4.2016 gänzlich außer Kraft getretenen ZK in Bezug und verstoßen daher – sie müssten sich mittlerweile auf den UZK beziehen – gegen den Grundsatz ‚nulla poena sine lege‘.“
Danach ist der bloß fahrlässige „Schmuggel“ im Reiseverkehr – jedenfalls bis zur Überarbeitung des § 30 ZollV – sanktionslos, also weder ordnungswidrig noch mit einem Zollzuschlag zu belegen.
Zustimmung verdient ferner die abschließende Bemerkung Ebners:
„Der Hamburger Fall hätte Anlass geboten, die Grundlagenrechtsprechung zum ‚grünen Ausgang‘ für die Praxis weiter auszudifferenzieren, vor allem: Welche Fälle bleiben für die immerhin auch vom BFH grundsätzlich für möglich gehaltene ‚einfache‘ Fahrlässigkeit am ‚grünen Ausgang‘ übrig? Betont man die zunächst in den Mittelpunkt gerückte Erkundigungspflicht vor der Nutzung des ‚grünen Kanals‘ zu stark, besteht jedenfalls die Gefahr, gleichsam ‚automatisch‘ ein leichtfertiges Verhalten zu bejahen.“
Aus Sicht des Praktikers scheint sich diese Gefahr bei der Arbeit der Straf- und Bußgeldsachenstellen der Hauptzollämter in 100 Prozent aller Fälle zu realisieren.
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