Steuerhinterziehung und Rückwirkung
Für viele Angeklagte ist es im Falle des Vorwurfs der Steuerhinterziehung nach § 370 AO durch die Staatsanwaltschaft von besonderer Relevanz, ob es sich dabei lediglich um die Grundkonstellation des Absatzes I handelt oder aber um einen besonders schweren Fall nach Absatz III. In § 370 Absatz III AO bediente sich der Gesetzgeber einer typischen Regelungstechnik, indem eine Reihe von sogenannten Regelbeispielen aufzählt, die üblicherweise zur Erfüllung eines besonders schweren Falles und damit eines erhöhten Strafrahmens führen.
Sieht § 370 Absatz I AO noch die Möglichkeit einer Geldstrafe vor, kennt der Absatz III diese nicht mehr. Die verhältnismäßig leichtere Sanktion der Geldstrafe ist schlicht nicht vorgesehen. Stattdessen lautete der Strafrahmen auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren. Hierdurch ist nicht nur eine enorm hohe Maximalstrafe von 10 Jahren potentiell möglich. Die meisten Angeklagten legen den Fokus auf die Mindeststrafe. Ein besonders schwerer Fall der Steuerhinterziehung sieht nämlich zwingend eine Freiheitsstrafe vor. Erschwerend kommt hinzu, dass Freiheitsstrafen ab sechs Monaten im polizeilichen Führungsregister gespeichert werden, was somit unter Umständen im Verlust des Berufes oder ähnlichen einschneidenden Konsequenzen resultieren kann. Die Prozesstaktik wird demnach häufig dahingehen, die Verurteilung wegen eines besonders schweren Falles der Steuerhinterziehung zu vermeiden, selbst wenn die übrigen Vorwürfe anerkannt werden.
§ 370 Absatz III Satz 2 Nr. 1 Var. 1 AO lässt verlauten, dass ein besonders schwerer Fall vorliegt, wenn der Täter in großem Ausmaß Steuern verkürzt. Von entscheidender Bedeutung ist daher die Schwelle zum großen Ausmaß. Der Bundesgerichtshof macht die Grenze seit dem Jahr 2015 bei einem Umfang der hinterzogenen Steuern von 50.000 Euro aus. Davor ging man zumeist von einem Schwellwert von 100.000 Euro aus.
Im vom OLG Bamberg zu entscheidenden Fall, hatte der Angeklagte zweifelsohne Steuern hinterzogen und war von den Vorinstanzen wegen des besonders schweren Falles nach §§ 370 Absatz I, Absatz III Satz 2 Nr. 1 Var. 1 AO verurteilt worden. Dagegen wandte sich seine Revision. Problematisch war, dass der Umfang sich für die Jahre 2007 bis 2009 zwar über 50.000 Euro bewegte, nicht jedoch die Grenze der 100.000 Euro überschritt. Die Verteidigung argumentierte, dass die Verurteilung wegen des besonders schweren Falles somit gegen das Rückwirkungsverbot des Art. 103 Absatz II GG verstoße.
Dem hielt das OLG Bamberg indes eine andere ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs entgegen, die bereits vor der Änderung der Höhe des hinterzogenen Betrags galt. Das OLG wertete das Verhalten des Angeklagten, der sich Einnahmen auf einem Schweizer Bankkonto hatte gutschreiben lassen, als Verschleierungshandlung. Schon bei Zugrundelegung der früheren Rechtsprechung sei die Grenze zum besonders schweren Fall dann aber bei 50.000 Euro anzusetzen, weil sich das Verhalten des Angeklagten gerade nicht auf ein bloßes Verschweigen steuerpflichtiger Einkünfte beschränkt habe.
Da sich eine solche Auslegung nicht aus dem Wortlaut ergibt, ist diese Interpretation durchaus kritisch zu betrachten. Nichtsdestoweniger stimmt sie mit der aktuellen Judikatur des Bundesgerichtshofs überein.
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