Tatort Zollhinterziehung
Das Rot-Grün-Kanalverfahren im Flughafen.
Die Neufassung des § 32 ZollVG weitet den Anwendungsbereich des sog. Schmuggelprivilegs erheblich aus. Nach der bis 15.03.2017 geltenden Fassung waren ausschließlich Steuerstraftaten im grenzüberschreitenden Reiseverkehr unter bestimmten Voraussetzungen als solche nicht zu verfolgen, wenn der verkürzte Betrag 130 Euro nicht überstieg.
Nach der Neufassung sind sämtliche Steuerstraftaten, die sich auf Einfuhr- und Ausfuhrabgaben und Verbrauchsteuern beziehen, privilegiert. Diese Abgaben lassen sich auch außerhalb des grenzüberschreitenden Reiseverkehrs hinterziehen.
Nach der Formulierung der Norm ist auch der Schwarzbrenner umfasst, der die Branntweinsteuer durch Herstellung von branntweinsteuerpflichtigen Erzeugnissen und Unterlassen der Steueranmeldung hinterzieht. Auch die Heizölverdieselung durch betanken eines Dieselfahrzeuges mit gekennzeichneten Energieerzeugnissen (= Heizöl) und die damit regelmäßig verwirklichte Steuerhinterziehung gemäß § 370 Abgabenordnung i.V.m. § 21 Energiesteuergesetz fällt nun unter das Schmuggelprivileg, da es sich bei der hinterzogenen Energiesteuer um eine Verbrauchsteuer handelt.
Zu beachten ist hierbei allerdings, dass in den Fällen, in denen am Heizöltank des Heizölverdieselers eine Pumpvorrichtung aufgefunden wird, das gesamte Heizöltankvolumen nachzuversteuern ist und dadurch die – im Zuge der Neufassung auf 250 Euro angehobene - Verkürzungsgrenze regelmäßig überschritten wird. Dies gilt auch bei Feststellung von Heizöl bzw. Markierstoff in einem LKW-Tank (Steuersatz 470,40 Euro für 1.000 Liter Gasöl). Insbesondere mit Blick auf die Tabaksteuer ist noch interessant, dass die Steuerhehlerei gemäß § 374 Abs. 1 Abgabenordnung nun ebenfalls zu den privilegierten Tatbeständen gehört. Dies betrifft in der Praxis vor allem die Fälle, in denen Personen mit unversteuerten Zigaretten „erwischt“ werden.
Auch der immer mehr zunehmende Schmuggel im Versandverkehr (etwa durch Bestellungen in China, vgl. hierzu Wölbert in: c’t 2017, 80 ff.) wird durch die Neufassung des § 32 ZollVG weitgehend entkriminalisiert.
Einschränkend „soll“ nunmehr von der Verfolgung einer Steuerstraftat als solche abgesehen werden, wenn die Voraussetzungen des § 32 ZollVG gegeben sind. Nach der alten Fassung war die Nichtverfolgung als Steuerstraftat zwingend. Durch die „Soll-Regelung“ kann nun in Fällen, in denen eine Nichtverfolgung unangemessen scheint, die Tat gleichwohl strafrechtlich geahndet werden.
Unverändert bleibt, dass im Zuge der Steuerstraftat mitverwirklichte andere Delikte weiterhin verfolgbar bleiben. Dies gilt beispielsweise hinsichtlich der bei der Einfuhr von Betäubungsmitteln, Arzneimitteln oder Waffen neben dem subsidiären steuerstrafrechtlichen Bannbruch begangenen Verstöße gegen die einschlägigen Gesetze (BtMG, AMG, WaffG etc.). Ebenso bleibt es dabei, dass im Falle der Privilegierung nach § 32 ZollVG zwar keine strafrechtliche Ahndung stattfindet, aber ein Zuschlag bis zur Höhe der festzusetzenden Einfuhrabgaben – höchstens 250 Euro – erhoben werden kann.
Nach § 32 Abs. 3 ZollVG n.F. kann der Zollzuschlag von bis zu 250 Euro nicht nur dann erhoben werden, wenn die Tat nach § 32 Abs. 1 ZollVG nicht als Straftat verfolgt wird, sondern auch, wenn das Verfahren nach § 153 StPO oder § 398 AO eingestellt wurde. Voraussetzung beider Vorschriften ist, dass die Schuld des Täters als gering anzusehen wäre und kein öffentliches Interesse an der Verfolgung besteht („Einstellung wegen Geringfügigkeit“). § 398 AO führt auch das hierfür in den meisten Fällen entscheidende Kriterium an: dass nur eine geringwertige Steuerverkürzung eingetreten ist. Aber wann ist eine Steuerverkürzung geringwertig?
Nach der alten Fassung der für die Zollbehörden verbindlichen Dienstvorschrift für das Straf- und Bußgeldverfahren (Aufgabenwahrnehmung und Organisation) – StraBuDV – war die Grenze in der Regel bei 130 Euro anzusetzen. Dies schränkte den Anwendungsbereich der §§ 153 StPO, 398 AO im Grunde auf Fälle außerhalb des grenzüberschreitenden Reiseverkehrs ein, denn diese Fälle durften ohnehin gemäß § 32 Abs. 1 ZollVG a.F. nicht als Straftat verfolgt werden. Ab einem Verkürzungsbetrag von über 130 Euro war damit - im und außerhalb des grenzüberschreitenden Reiseverkehrs – eine Einstellung wegen Geringfügigkeit ausgeschlossen.
Dies erscheint widersprüchlich, denn auch nach § 32 Abs. 3 ZollVG a.F. war die Erhebung eines Zollzuschlags möglich, wenn eine im grenzüberschreitenden Reiseverkehr begangene Steuerstraftat vorlag und diese nach § 398 AO eingestellt wurde. Um nach § 398 AO eingestellt werden zu können, hätte sich die Tat aber auf einen Verkürzungsbetrag von über 130 Euro beziehen müssen – denn sonst hätte die Tat bereits nicht als Straftat verfolgt werden dürfen. Damit sollte nach dem Willen des Gesetzgebers eine Tat auch dann nach § 398 AO wegen Geringfügigkeit eingestellt werden können, wenn der Verkürzungsbetrag über 130 Euro lag.
Die Grenze von 130 Euro wird bis heute in der (spärlichen) einschlägigen Literatur vertreten (Möller/Retemeyer in: Bender/Möller/Retemeyer, Steuerstrafrecht mit Schwerpunkt Zoll- und Verbrauchsteuerstrafrecht, Stand Juni 2022, Kap. D Rn. 195):
„Dagegen liegt bei der Hinterziehung von Besitz- und Verkehrssteuern die Grenze in der Praxis der Gerichte wesentlich höher, nämlich bei bis zu 1.000 Euro (Kohlmann § 398 Rz 25; Franzen/Gast-de Haan/Joecks § 398 Rz 16; im Übrigen auch unterschiedlich in den einzelnen Bundesländern). Diese Unterschiede sind durch die Verschiedenheit der Erscheinungsformen bedingt. Fälle des klassischen, des Reise- und des Truppenschmuggels sowie der Heizölverdieselung durch Endverwender bieten, da die Täter nicht durch Abgabe steuerlicher Erklärungen oder in anderer Weise steuerlich erfasst und damit für die FB überprüfbar sind, besonders risikolose Möglichkeiten illegaler Bereicherung und können, da praktisch für jedermann durchführbar, damit zu einem das Steueraufkommen erheblich gefährdenden Massenphänomen werden. Deshalb ist die Strafe hier stärker als sonst unter dem präventiven Gesichtspunkt zu sehen, was eine zu großzügige Einstellungspraxis verbietet, und deshalb kann in diesen Fällen die durch Nr. 142 StraBuDV vorgegebene Grenze von 130 Euro auch unterschritten werden.“
Dass diese Argumentation realitätsfremd ist, bedarf keiner tiefergehenden Erörterung. Sie konterkariert auch den offensichtlichen Willen des Gesetzgebers. Dieser hatte zur Begründung der Schaffung des Schmuggelprivilegs ausgeführt (BT-Drucks. III/2201 S. 76):
„Der Täter gerät mehr oder weniger ungewollt, vor allem aber außerhalb seiner normalen Lebens- und Berufsverhältnisse in die Rolle des Steuerpflichtigen, den besondere Pflichten treffen. Dies unterscheidet ihn nicht nur vom gewerblichen Importeur, sondern auch vom Steuerpflichtigen für andere Steuern, wie die Einkommensteuer oder selbst die Kraftfahrzeugsteuer.
Tatmotiv ist nicht so sehr der Wunsch, Geld zu ersparen. Dieser Vorteil wird zwar durchaus erstrebt, wichtiger für den Täter ist aber oft der Wunsch, ohne große Scherereien seine Reise fortzusetzen, noch öfter der bekannte Reiz, ‚dem Zoll ein Schnippchen zu schlagen‘, und sich damit womöglich später zu brüsten. Auch dieser andere Akzent im Tatmotiv erlaubt eine andere strafrechtliche Behandlung in diesem Sonderfall.“
Woher der Gesetzgeber diesen Blick in die Täterpsyche nimmt, teilt er nicht mit, dies kann aber auch dahinstehen. Für den Rechtsanwender erkennbar wird jedenfalls, dass der Gesetzgeber eher Milde walten lassen will als durch fanatische Verfolgung von Bagatelltaten eine (ohnehin illusorische) Abschreckungswirkung anzustreben.
Mittlerweile wurde die Geringfügigkeitsgrenze in der StraBuDV ersatzlos gestrichen. Die Straf- und Bußgeldsachenstellen der Hauptzollämter behelfen sich mit internen Richtwerten, um eine gleichmäßige Sanktionierung in ihrem jeweiligen örtlichen Zuständigkeitsbereich sicherzustellen. In Berlin kommen nach Aussage eines dortigen Beamten Fälle mit einer Steuerverkürzung von bis zu 500 Euro für eine Einstellung wegen Geringfügigkeit in Betracht.
Das Rot-Grün-Kanalverfahren im Flughafen.
(Fassung bis 15.03.2017)
(Fassung ab 16.03.2017)
(1) Steuerstraftaten und Steuerordnungswidrigkeiten (§§ 369, 377 der Abgabenordnung), die im grenzüberschreitenden Reiseverkehr begangen werden, werden als solche nicht verfolgt, wenn sich die Tat auf Waren bezieht, die weder zum Handel noch zur gewerblichen Verwendung bestimmt sind und der verkürzte Einfuhrabgabenbetrag oder der Einfuhrabgabenbetrag, dessen Verkürzung versucht wurde, 130 Euro nicht übersteigt.
(1) Steuerstraftaten und Steuerordnungswidrigkeiten (§§ 369, 377 der Abgabenordnung) sollen als solche nicht verfolgt werden, wenn durch die Tat selbst oder die Vortat Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben oder Verbrauchsteuern von insgesamt nicht mehr als 250 Euro verkürzt wurden oder deren Verkürzung versucht wurde.
(2) Absatz 1 gilt nicht, wenn der Täter
1. die Waren durch besonders angebrachte Vorrichtungen verheimlicht oder an schwer zugänglichen Stellen versteckt hält oder
2. durch die Tat den Tatbestand einer Steuerstraftat innerhalb von sechs Monaten zum wiederholten Male verwirklicht.
(2) Absatz 1 gilt nicht in den in § 370 Absatz 3, den §§ 373 und 374 Absatz 2 der Abgabenordnung genannten Fällen.
(3) Liegt eine im grenzüberschreitenden Reiseverkehr begangene Steuerstraftat oder Steuerordnungswidrigkeit vor, kann in den Fällen einer Nichtverfolgung nach Absatz 1 oder einer Einstellung nach § 398 der Abgabenordnung ein Zuschlag bis zur Höhe der Einfuhrabgaben, höchstens jedoch bis zu 130 Euro erhoben werden.
(3) Wird eine Steuerstraftat oder Steuerordnungswidrigkeit nach Absatz 1 nicht verfolgt oder wird von der Verfolgung einer Steuerstraftat, die sich auf Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben oder Verbrauchsteuern bezieht, nach § 398 der Abgabenordnung oder nach § 153 der Strafprozessordnung abgesehen, so kann ein Zuschlag bis zur Höhe der festzusetzenden Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben oder Verbrauchsteuern, höchstens jedoch bis zu 250 Euro erhoben werden.
(4) Die Absätze 1 bis 3 gelten auch bei der Einreise aus einer Freizone.
Weitere Informationen zum Zoll- und Steuerstrafrecht finden Sie auf der Website des Verteidigers in Zoll- und Steuerstrafsachen Rechtsanwalt Torsten Hildebrandt, Berlin/Hamburg.
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